Kritik - Wozzeck
von Alban Berg
Theater Trier 2007

Sozial-Drama ohne falsches Pathos
Regisseur Franz Grundheber(l.)
mit den "Wozzeck"-Hauptdarstellern Johannes M. Kösters
und Vera Wenkert sowie dem musikalischen Leiter István Dénes.

Im Theater gehen die Vorbereitungen für eine weitere große Musik-Theater-Premiere dieser Spielzeit in die heiße Phase: Mit Alban Bergs 1925 uraufgeführtem „Wozzeck“ präsentiert das Dreispartenhaus ab Sonntag, 29. April, eine atonale Oper, die auf eingängige Melodien und Rhythmen verzichtet und stattdessen die seelische Zerrüttung der Hauptfiguren in eine dissonante Klangsprache übersetzt.

Für Bariton Johannes M. Kösters, der in den meisten Vorstellungen die Hauptrolle spielt, ist „Wozzeck“ nach der Vorlage von Georg Büchner ein soziales Drama. Allein deswegen sei herkömmliches Opern-Pathos in einem Stück über einen gequälten Menschen, der schließlich seine Geliebte umbringt, nicht angemessen. Wozzecks Partnerin Marie, die ihn mit einem Tambourmajor betrügt, um einen Weg aus ihrem Elend zu finden, spielt Sopranistin Vera Wenkert (und nicht Eva Maria Günschmann, wie in der letzten Rathaus Zeitung versehentlich vermeldet). Für Wenkert ist „Wozzeck“ eher ein Theaterstück mit Musik als eine Oper. Die Arbeit an der Rolle der Marie sei ungewöhnlich „intensiv und sehr berührend.“ Die Komposition Bergs passt nach Einschätzung von Musik-Dramaturg Dr. Peter Larsen auch deswegen so gut zum Büchner-Stück, einem frühen Vorläufer des gesellschaftskritisch-expressionistischen  Dramas, weil sie verstörend sei und keine Distanz zum Publikum zulasse.

Von einer konzentrierten und intensiven Reaktion der Besucher in den einführenden „Wozzeck“-Veranstaltungen des Theaters berichtete Intendant Gerhard Weber bei der Vorstellung der Inszenierung. Entgegen vieler Vorurteile habe das Stück auch einige ironisch-humoristische Szenen.

Die Regie bietet eine Premiere, denn der aus Trier stammende Kammersänger Franz Grundheber, der in seiner langen Karriere selbst sehr oft als Wozzeck auf der Bühne stand, hat sich für die erste Inszenierung seine „Lieblingsoper“ ausgesucht. Für die Hauptdarsteller Kösters und Wenkert ist dieser Umstand kein Problem: „Das ist eine sehr schöne Zusammenarbeit und ich profitiere von seinen Erfahrungen“, betonte Kösters nach den Proben. ähnlich sieht das Wenkert, die sich zudem freut, den „Wozzeck“ mit zwei ganz unterschiedlichen Kollegen spielen zu können, da in zwei Gala-Aufführungen Grundheber die Titelrolle übernimmt.

Kösters begann seine Karriere 1981 am Nationaltheater Mannheim. Ab 1987 gehörte er zum Ensemble des Musiktheaters Gelsenkirchen und profilierte sich vor allem mit Rollen des italienischen und französischen Repertoires. 1991 begann er seine freiberufliche Tätigkeit und wirkte an rund 40 Produktionen mit, darunter auch in Frankreich, Italien und den USA. Der Sänger arbeitete mehrfach mit den Berliner Philharmonikern zusammen, so bei einem Liederabend zu Texten von Georg Büchner oder als Jakob Lenz in einer Oper des deutschen Komponisten Wolfgang Rihm, ebenfalls nach einer Büchner-Vorlage.

Vera Wenkert gehört seit der Spielzeit 2000/2001 zum Ensemble des Trierer Theaters, in dem sie vor allem große Rollen im jugendlich-dramatischen Sopran singt. 2004 zeichnete sie die Gesellschaft der Freunde des Theaters Trier mit Theatermaske aus. Ein Jahr später nominierte die Zeitschrift „Opernwelt“ Wenkert für ihre Hedwig in „Die Rheinnixen“ von Jacques Offenbach als „Beste Sängerin des Jahres“. Bei den Antikenfestspielen 2006 sang sie die Titelpartie in „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauß.

Trierer Rathaus-Zeitung, 24.04.2007
Der Schattenmann
Wozzeck, Trierischer Volksfreund 24.04.2007
Trierischer Volksfreund, 24.04.2007
Trier: Alban Berg WOZZECK (Premiere am 29.4.2007)
Vielleicht der größte lebende Wozzeck- Interpret, FRANZ GRUNDHEBER, inszeniert erstmalig in seiner Heimatstadt Trier Bergs Jahrhundertwerk.
Und das Ergebnis ist rundum höchst erfreulich.
In einer wellenförmgen kahlen Spielfläche, mit Projektionen auch verschieden beleuchtbar, braucht Grundheber nur das Allernötigste an Requisiten, um stringent und ohne Mätzchen die Geschichte des Franz Wozzeck spannend zu erzählen. In der kühlen Grundatmosphäre ist so stets der Fokus auf den Darstellern. Und mit denen wird gut und detailliert gearbeitet.
Allen voran spielt und singt JOHANNES M. KöSTERS einen ausgezehrten, von Schicksalsschlägen gemarterten, verunsicherten und dadurch äußerst charismatischen Wozzeck mit einem, dem Inhalt nachspürenden, herb- dunklem Bariton.

VERA WENKERT als seine Frau Marie gibt sich ebenfalls mit eindringlicher Energie und großem dramatischen Gestus und Volumen in die Szene. Eine Charakterstudie ersten Ranges liefert der Hauptmann PETER KOPPELMANN ab, mitunter gesangliche Grenzen derb überschreitend.

Etwas mehlig im Timbre, aber darstellerisch sehr präsent und skurril ist THOMAS SCHOBERT als bäriger Doktor. Absolut stimmsicher, klangschön und vital intoniert GOR ARSENIAN den Tambourmajor und auch EVA MARIA GüNSCHMANN als Margret bietet einen satten, substanzreichen, wohltönenden Alt. Der 2. Handwerksbursch von HORST LORIG hat spielerisch dem 1. einiges voraus, den JURI ZINOVENKO ein wenig einfarbig, wenn auch gut gesungen, absolviert. FERNDANDO GELAF's Narr hat seinen feinen Auftritt und besonders rührend, weil schlicht, spielt MELINA BODEN Maries Kind. Chor und Kinderchor hinterlassen den besten Eindruck.
Auffallend ist die hohe Textverständlichkeit aller, die die übertitelung in dem Fall fast unnötig erscheinen lässt. GMD ISTVAN DENES am Pult des Philharmonischen Orchesters hält alles konzentriert zusammen, und es gelingen, wie im letzten Zwischenspiel, dem Klangkörper auch große Momente.

Eine starke Gesamtleistung für dieses kleine Theater. Das Trierer Publikum hat diese Ausnahmeleistung mit Euphorie wahrgenommen, so dass man hoffen darf, dass auch die Folgevorstellungen gut besucht werden, zumal KS Franz Grundheber selbst die Titelfigur zweimal interpretieren wird: von ihm eine große Geste an seine Heimat, vom Intendanten ein kluges Unternehmen, einen Weltstar in die Produktion doppelt einzubeziehen.

Damian Kern

Der Neue Merker, Nummer 135 (18. Jahrgang, April / Mai - 2007)
Seh- und Hörer-freundlicher Berg

Da inszeniert einer der weltweit anerkannten Sänger des Wozzeck Alban Bergs gleichnamige in den 1920er Jahren entstandene, in der Fachwelt längst als Erfolgsstück geführte Oper, übernimmt in einigen Folgevorstellungen selber den Protagonisten, und das Trierer Publikum lässt bei der Premiere dennoch Lücken im großen Haus. Hier wird der Wiener Komponist hinter vorgehaltener Hand immer noch als Urheber von Katzenmusik gehandelt. Fragt sich, wie groß die Lücken geworden wären ohne den werbeträchtigen Kniff, den berühmten Franz Grundheber vorzuschicken.

Nun, Katzenmusik hörte man gewiss nicht. Dank einem klar und sauber, schlank und geschmeidig aufspielenden Orchester. Dank einer leichte Tempi anschlagenden, atmenden und die „schönen“ Elemente der Partitur effektvoll herausarbeitenden, virtuos selbstverständlichen Leitung des scheidenden István Dénes. Mehr Strauss-, Mahler-, Florent Schmittsche Klänge, mehr nachromantische Aura und pittoreske Beredsamkeit sind der komplexen - und in der Tat bei unzureichender Aufschlüsselung ziemlich „schrägen“ – Partitur kaum zu entlocken.

Grundheber, fast typisch für Sänger, die die Seite wechseln und, auch das meist hinter vorgehaltener Hand, auf Erscheinungen des „Regietheaters“ bitter fluchen, ging seine Inszenierung werkdienlich, sozusagen konservativ an. In einem Rahmen, der einer überdimensionierten Sonnenbank ähnelt, lassen sich mithilfe pointierter Ausleuchtung und eindrucksvoller Projektionen die Szenenwechsel für die insgesamt 15 Abschnitte unaufwendig herstellen (Ausstattung: Dirk Immich). Altertümliches Waschbecken mit Spiegel, Stuhl und Handwägelchen bilden einige der wenigen Requisiten einer Bühne, die Armut umschreibt, ohne Armut des Einfalls zu verraten.

Für diejenigen, die weder Georg Büchners Szenenfolge Woyzeck noch Alban Bergs eigenhändige Auswahl und Librettobearbeitung Wozzeck kennen, sei soviel angedeutet, dass es um mittellose Menschen am Rande der Gesellschaft geht. Wozzeck, als Barbier, Tagelöhner, medizinisches Versuchskaninchen den Hänseleien seiner Auftraggeber ausgeliefert, wird von Marie, seiner Lebensgefährtin und Mutter eines Knaben (entzückende Kurzhosenrolle durch ein graziles Mädchen), nach sechs gemeinsamen Jahren mit einem Tambourmajor betrogen, verliert unter dem Einfluss (hier ärztlich ausgelöster?) Wahnvorstellungen mehr und mehr die Kontrolle und ersticht Marie. Beim Versuch, das Tatmesser verschwinden zu lassen, kommt er selber im Wasser um. übrig bleibt das Kind, das seine Verspottung und Ausgrenzung als unehelich geboren verständlicherweise nicht begreift.

Ein anrührender Ausklang einer Geschichte, die, skeptisch betrachtet, denn doch allzu eintönig, allzu eindimensional das durchdekliniert, was der Büchner-Zeitgenosse Franz Grillparzer einmal verdrossen als „Lazarettdichtung“ bezeichnete. Büchner konterte 1836 mit seiner Sozialstudie dem mythologisch-aristokratischen Themenkreis, auf den auch noch Grillparzer in seinen thematisch packenden, psychologisch hochbrisanten Dramen rekurrierte. Berg fand um und nach 1900 in Naturalismus und Expressionismus in der Abkehr von Salonkunst und der Pikanterie einer Salome den Nährboden seines späteren Theatererfolgs. Hätten er oder Büchner La Hague gekannt, die Handlung wäre gewiss im Armenviertel unmittelbar neben einer Atomanlage angesiedelt und die Müdigkeit von Maries Knaben nicht mehr Unterernährung, sondern der Leukämie geschuldet worden.

Grundheber erspart dem Publikum dankenswerterweise derartige wie sehr auch immer nahe liegende Aktualisierungen.

Licht und (wenig) Schatten

Allerdings wirkt die Inszenierung nicht fertig. Dort, wo sie von ausgezeichneten Sängerdarstellern getragen wird – Johannes M. Kösters’ Wozzeck, Vera Wenkerts Marie, Peter Koppelmanns Hauptmann, jeder überaus profiliert und präsent -, fügen sich Wort und Ton, Aktion und Tonmalerei zur greifbaren Einheit. An andern Stellen bleiben Unstimmigkeiten.

So erfolgt die erste innerszenische Begegnung Maries mit dem Tambourmajor auf eine Weise, die jeden, der nicht rechtzeitig die Inhaltsangabe rekapituliert hat, eher an einen käuflichen Akt denken lässt. Marie hat eben von ihrem bedauernswerten „Hurenkind“ gesprochen und von der Armut, die zu allem zwingt, da nähert sich ein knallhart singender Mensch, dessen steifes Spiel den Charme einer Handschelle ausstrahlt. Hier treten Grenzen des kleinen Hauses hervor, das naturgemäß nicht alle Fächer und Rollen bei einem so diffizilen Stück passend besetzen kann.

Alles in allem: eine besucherfreundliche Produktion, die Berührungsängste zu einem angeblich so schwierigen und sperrigen Werk abbauen kann und in ihrer erklärenden Art einen ausgezeichneten Einstieg ermöglicht. Wogende Zustimmung, insbesondere für die drei namentlich erwähnten Darsteller, musikalische Konzeption und Regie.

von Klauspeter Bungert

Trierischer Volksfreund, 01.05.2007
WOZZECK-Premiere in Trier
Wozzeck, Trierischer Volksfreund 01.05.2007Wozzeck, Trierischer Volksfreund 01.05.2007
Trierischer Volksfreund, 01.05.2007
Ausdrucksstark auf schlichter Bühne: Grundheber feiert Regiedebüt

Franz Grundheber (l) und Vera Wenkert (r) bei den Proben zu "Wozzeck" in Trier.

Trier (dpa) - Der Junge steht nach dem tödlichen Familiendrama am Teich. Sein Vater hat soeben seine Mutter ermordet, bevor er selbst in den Fluten den Tod gesucht hat. Das Kind starrt bewegungslos in die Dunkelheit. Auf leerer Bühne hält er den Lenker seines Bollerwagens fest in der Hand.

Eine Szene, die wie viele andere in der von Kammersänger Franz Grundheber inszenierten Oper «Wozzeck» am Sonntagabend am Theater Trier unter die Haut ging. Ausdrucksstark und realistisch hat der 69-jährige Weltstar das tragische Schicksal des Soldaten «Wozzeck», der aus einer betrogenen Liebe heraus seine untreue Freundin ersticht, auf die Bühne gebracht. Das Regiedebüt Grundhebers wurde vom Publikum mit minutenlangem Applaus und Bravo- Rufen belohnt.

In seiner ersten Inszenierung in 42 Jahren Gesangskarriere gelang es dem gebürtigen Trierer, die Figuren klar ohne falsches Pathos darzustellen. Ohne viel Beiwerk brillierten die Sänger Johannes Kösters als Wozzeck und Vera Wenkert als Marie in einem schlicht gehaltenen Bühnenbild, das Grundheber nach eigenen Worten ganz bewusst «ohne Schnickschnack» präsentierte. Spärlich daher die eingesetzten Requisiten: ein Waschbecken, ein Stuhl, ein Regal. Grundhebers Regiearbeit spiegelt letztlich seine Hochachtung vor dem Werk von Alban Berg als «perfekte Oper» wider: «Da ist kein Wort und keine Note zu viel. Da braucht man nichts anzudichten», sagte der Sänger, der den «Wozzeck» bereits in elf verschiedenen Inszenierungen in den renommiertesten Opernhäusern der Welt gesungen hat.

Wert legte er darauf, jede Szene «voll auszugestalten» und die in der Oper festgelegten Zwischenspiele zwischen den 15 Szenen mit Einsatz von Licht und Projektionen unverkrampft umzusetzen. Gelungen war auch das Bühnenbild des Hannoveraner Bühnen- und Kostümbildners Dirk Immich, das eine Welle andeutet. Diese symbolisiert nach Aussage Immichs den «Boden, der uns plötzlich unter den Füßen weggerissen werden kann». Eine Lebenssituation, die heute «in der Zeit der Globalisierung» so aktuell sei wie bei der Uraufführung 1925 in Berlin, sagte Grundheber, der in der zweiten und dritten Aufführung in Trier auch den Part des «Wozzeck» als Bariton übernehmen wird. In Trier stand die Oper «Wozzeck» nach dem Werk Georg Büchners erstmals auf dem Spielplan.

Entschieden wehrt sich Grundheber dagegen, «Wozzeck» als schwere und komplizierte Oper zu bezeichnen. «Es ist wie ein Krimi im Fernsehen, und die Musik gehört dazu», sagte er. Und das Trierer Publikum glaubte ihm, ließ sich mitreißen von der Zwölftonmusik und der Geschichte des gedemütigten einfachen Soldaten, der schon früh erkannte: «Der Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinunterschaut.»

Die Arbeit erstmals als Regisseur sei eine «Herausforderung» gewesen, die mit «ungeheuer viel Kreativität» und Spaß verbunden sei, sagte Grundheber. Der Sänger fühlt sich jedoch nicht zum Regisseur berufen. «Ich werde keine Regiekarriere machen. Dafür ist mein Kalender zu voll», sagte der Weltstar, der bereits Verpflichtungen bis 2010 hat.

Schwäbische Zeitung Online 03.05.2007
Umjubelte Grundheber-Gala
Wozzeck, Trierischer Volksfreund 04.05.2007
Trierischer Volksfreund, 04.05.2007